Bei mir liegt immer irgendwo ein Buch herum und wartet darauf, gelesen zu werden. Ein besonders hartnäckiges Buch befindet sich seit Jahren immer in meiner Nähe.
28.03.2014 | 18:30 | JOHANNA DODERER, Komponistin, geboren1969 in Bregenz, lebt in Wien (Die Presse)
Bei mir liegt immer irgendwo ein Buch herum und wartet darauf, gelesen zu werden. Ein besonders hartnäckiges Buch befindet sich seit Jahren immer in meiner Nähe. Und letzthin ließ mich die beiläufig ausgesprochene Bemerkung meines Sohnes wieder danach greifen. Dieser Roman, Die Strudlhofstiege von Heimito von Doderer, ist für mich, besonders da der Autor mein Großonkel war, eine Pflichtlektüre (C. H. Beck Verlag).
Die meisten seiner Bücher habe ich längst gelesen. Doch diesen Roman hatte ich bereits viermal angefangen, und immer drängten sich Zeilen anderer Autoren und Autorinnen dazwischen. Mein Sohn Patrick meinte, gerade dieses Buch könne man auch irgendwo aufschlagen und lesen. Weg von der Linearität also? Immer hatte ich versucht, mich brav von Seite zu Seite durch die melzerischen Abgründe durchzuarbeiten, bis ich mich in den einzelnen Handlungssträngen „festbiss“ und schließlich erschöpft scheiterte.
Ich entschloss mich daher nunmehr, diesen Roman nicht von vorne nach hinten zu lesen, und plötzlich war ich von diesem über 900 Seiten langen Roman gefangen. In kürzester Zeit habe ich „Die Strudlhofstiege“ zweimal gelesen; bin eingetaucht in ein Netz an Verstrickungen, ineinander verschlungener Ereignisse, bin Stufe für Stufe in die Tiefe der Betrachtungen, ein zeitloses Reflektieren menschlicher Leidenschaften, gesunken.
Heute liegt dieses Buch nach wie vor in meiner Nähe. Immer wieder und oft spontan greife ich danach, schlage irgendwo auf und befinde mich schlagartig auf einer Achse der Gleichzeitigkeit menschlicher Verbindungen."
("Die Presse" Spektrum, Print-Ausgabe, 29.03.2014)